Das Problem der chemischen Viruzidie
Expertenbeitrag von Sascha Ruß, Hygieneingenieur
Die KRINKO-BfARM-Empfehlung, deren Einhaltung eine ordnungsgemäße Aufbereitung gem. §1 (2) MPBetreibV vermuten lässt, macht klare Vorgaben zur Wirksamkeit von Desinfektionsverfahren. Insbesondere bei der manuellen Desinfektion von medizinischen Instrumentarium zeigt sich allerdings eine Tücke, die bei vielen Betreibern vermutlich nicht genug Beachtung findet. In Punkt 2.2.2 der Empfehlung wird für Desinfektionsverfahren nämlich eine viruzide Wirksamkeit ab der Risikoeinstufung semikritisch gefordert. Dies ist auf verschiedene Weisen zu erreichen, jedoch können schnell Fehler geschehen, die eine wirksame Viruzidie zumindest zweifelhaft erscheinen lassen.
Der einfachste Weg eine Viruzidie zu bewirken ist mithilfe einer thermischen Desinfektion in einem validierten maschinellen Verfahren, d.h. in einem Reinigungs- und Desinfektionsgerät. Der Vorteil ist, dass durch die technisch gesteuerten Abläufe eine reproduzierbar hohe Ergebnisqualität vorliegt. Über den A0-Wert lässt sich genau nachvollziehen, welche thermische Energie auf die Medizinprodukte eingewirkt hat und ob diese ausreichend war, um das gefordert Wirkspektrum zu erfüllen. Die zweite thermische Möglichkeit ist die Schlusssterilisation der Medizinprodukte. Medizinprodukte, die einem abschließenden Sterilisationsvorgang ausgesetzt werden, können somit zuvor auch begrenzt viruzid chemisch desinfiziert werden, da dieser Mangel durch die Sterilisation beseitigt wird (Vgl. Hyg Med 2011;36-10, S. 410).
Komplizierter wird die Sache, wenn eine manuelle Aufbereitung durchgeführt wird und semikritische Medizinprodukte lediglich keimarm, d.h. desinfiziert zur Anwendung kommen sollen. Auch hier ist darauf zu achten, dass das verwendete Mittel eine viruzide Wirkung aufweist. Die KRINKO-BfARM-Empfehlung fordert zeitgleich, dass die verwendeten Mittel gelistet sind – entweder vom Verband für angewandte Hygiene (VAH) oder vom Robert-Koch-Institut (RKI). Das Problem ist, dass es Stand März 2023 nur eine begrenzte Anzahl von Desinfektionsmitteln für die manuelle Instrumentendesinfektion gibt, die eine dort gelistete Viruzidie vorweisen können (VAH: 1 Produkt; RKI: 3 Produkte). Hier ist der Anwender also ziemlich eingeschränkt und steht bei Lieferschwierigkeiten ggf. vor dem Problem viruzide Mittel nicht beschaffen zu können. Noch kritischer wird es, wenn die Desinfektion, wie z.B. in der Podologie üblich, gemeinsam mit der Reinigung in einem einzigen Schritt in einem Ultraschallbad durchgeführt wird. Die Anforderungen mit entsprechend stark wirksamen Chemikalien eine Viruzidie herbeizuführen und zeitgleich eine nicht-proteinfixierende Reinigung zu realisieren sind so hoch, dass es aktuell nur ein einziges gelistetes Produkt dafür auf dem Markt gibt.
Dieses Problem ist seit längerem bekannt; so hat sich bereits 2016 die Deutsche Gesellschaft für Sterilgutversorgung e.V. (DGSV) in ihrer Empfehlung des Fachausschusses Qualität (97) „Desinfektion von Flächen und Medizinprodukten – Teil 2“ wie folgt geäußert:
„Die Wirksamkeit gegen Viren ist bisher nur sehr selten in die VAH-Liste aufgenommen worden. Zur Information kann hier die IHO-Viruzidie Liste herangezogen werden.“
„Die Aussagen hinsichtlich der Wirksamkeit beruhen auf Prüfungen gemäß national und international akzeptierter Normen und Richtlinien. Das Hauptaugenmerk liegt hierbei auf Wirksamkeitsbelegen hinsichtlich verabschiedeter europäischer Normen.“
Allerdings muss bis dahin eine gangbare Lösung vorhanden sein. In der aktuellen Version der KRINKO-BfArM-Empfehlung werden in Anlage 5 (Querverweise zu anderen gesetzlichen Regelungen und Empfehlungen, auf die die vorliegenden Empfehlungen Bezug nehmen) neben der VAH- und der RKI-Liste noch „Angaben der Hersteller“ aufgeführt. Jedoch kann dies nicht bedeuten, dass allein hierauf geachtet werden muss, um der KRINKO-BfArM-Empfehlung gerecht zu werden, denn an mehreren Stellen (u.a. in 1.3 und 2.2.2) heißt es, dass die Wirksamkeit der Desinfektion belegt werden muss. Üblicherweise geschieht dies durch die Auswahl eines VAH- oder RKI-gelisteten Mittels, bei denen der Hersteller diesen Wirksamkeitsnachweis unabhängig geprüft erbracht hat. Allein die Herstelleranagben in der Gebrauchsanweisung sind also nicht ausreichend für eine Verwendung nach Maßgabe der KRINKO-BfArM-Empfehlung.
An dieser Stelle kommt wieder die IHO-Liste ins Spiel, denn immerhin ist die Voraussetzung für die Listung beim IHO, dass die Wirksamkeit der Mittel nach Stand der Technik nachgewiesen wurde. Auch wenn keine VAH- oder RKI-Listung vorliegt, kann hier also davon ausgegangen werden, dass die Wirksamkeit gegeben ist. Es ist ratsam, sich vom Hersteller die entsprechenden Gutachten aushändigen zu lassen, falls dieser sie nicht ohnehin bei der Bestellung mitliefert. So kann im Falle einer Begehung mithilfe der Gutachten der Nachweis der Wirksamkeit erbracht werden. Zu achten ist hierbei auf die Gültigkeit der Zertifikate und die wörtliche Auslobung als „viruzid“.
Es wird sich zeigen, ob diese Behelfslösung mit der aktualisierten Fassung der KRINKO-BfArM-Empfehlung ein Ende nimmt. Zu hoffen wäre es, damit Betreiber von semikritischen Medizinprodukten, die keimarm zu Anwendung kommen, eine einfache und rechtssichere Handlungsanweisung erhalten.